Hermann-Hinrich Reemtsma (1935-2020)

Kaufmann, Landwirt, Stifter

Hermann-Hinrich Reemtsma wurde am 30. April 1935 als jüngstes von vier Kindern des Zigarettenunternehmers Hermann F. und Hanna Reemtsma, geb. Eisenschmidt, in Altona geboren. Er wurde evangelisch-lutherisch getauft. Während der Kriegsjahre 1943-45 besuchte er die einklassige Dorfschule in der Nähe des elterlichen Bauernhofes in der Lüneburger Heide. Prägende Schulzeit verbrachte er im Landschulheim Stiftung Louisenlund an der Schlei in Schleswig-Holstein, wo er 1955 das Abitur ablegte. Es folgte praktische Arbeit bei der Hauni Maschinenfabrik in Hamburg-Bergedorf mit Einsätzen als Hilfsmonteur in der Schweiz, Frankreich und Holland sowie kaufmännische Tätigkeiten für Hauni Agency Richmond/USA. Dabei hatte er engen Kontakt mit Firmenchef Kurt A. Körber. Es schloss sich 1957-59 eine kaufmännische Lehre bei der Deutschen Dampfschiffahrts-Gesellschaft Hansa in Bremen an. 1959-60 war Hermann-Hinrich Reemtsma für die südafrikanische Zigarettenfirma Rupert tätig, ehe er ins Familienunternehmen Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH eintrat und an die Seite seines Vaters rückte. Nach dem plötzlichen Tod des Firmenchefs Hermann F. Reemtsma 1961 leitete er zunächst den Bau des vom Vater ins Leben gerufenen Museums „Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma“ im Hamburger Jenischpark bis zur Eröffnung im Jahr 1962, ehe er bis 1966 verschiedene Aufgaben in der Zentrale, der Produktionsleitung und in der Werkleitung der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH übernahm. 1962 heiratete er Eike Andreae, mit der er drei Kinder hatte: Henrike (1963), Bernhard (1965) und Cornelius (1966).

1966 entschied er sich für einen beruflichen Neuanfang und folgte seinem seit der Kindheit gehegten Wunsch, Landwirt zu werden. Nach einer Volontärszeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb übernahm er den von seinem Vater geerbten Hof in der Lüneburger Heide ganz, erweiterte und professionalisierte ihn Schritt für Schritt. 1968 erwarb er zudem einen landwirtschaftlichen Betrieb in Ostengland, den er erfolgreich führte. Er zog sich aus der operativen Leitung der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH zurück, blieb dem Unternehmen aber noch bis 2002 als Aufsichtsrat und Gesellschafter verbunden.

Neben dem Vorsitz des Ernst Barlach Hauses engagierte er sich seit 1965 im Vorstand der von seiner Mutter gegründeten Stiftung Hanna Reemtsma Haus, die der Altenhilfe und dem betreuten Wohnen gewidmet ist. 1970 eröffnete die Stiftung Hanna Reemtsma Haus eine Seniorenwohnanlage am Forst Klövensteen in Hamburg-Rissen. Hermann-Hinrich Reemtsma blieb dieser Stiftung auch über den Tod der Mutter im Jahr 1988 hinaus stark verbunden. In den Jahren 2008-2011 regte er den Neubau der Anlage an und finanzierte diesen aus privaten Mitteln. Im Vorstand des Ernst Barlach Hauses blieb er 58 Jahre als Vorsitzender und Ehrenvorsitzender und erweiterte in dieser Zeit die Sammlung kontinuierlich durch Zustiftungen von Werken Ernst Barlachs um mehr als das Doppelte, zudem gab er regelmäßig Zuschüsse zum Betrieb des Museums.

1978 trat er in das Kuratorium der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen ein, die er über Jahrzehnte bis zu seinem Tod als größter privater Mittelgeber förderte. Viele andere gemeinnützige Einrichtungen unterstützte er mit Zuwendungen. Hermann-Hinrich Reemtsma sammelte selbst leidenschaftlich Kunst. 2015 zeigte das Ernst Barlach Haus Ausschnitte seiner privaten Sammlung anonym unter dem Titel „Land und Leute. Streifzüge durch eine Hamburger Privatsammlung“.

1988 gründete er die HERMANN REEMTSMA STIFTUNG und die HANNA REEMTSMA STIFTUNG, die er nach seinen Eltern benannte und die als Förderstiftungen die Zwecke der beiden operativen Stiftungen aufnahmen: Kultur und Mildtätigkeit. Die HANNA REEMTSMA STIFTUNG ging nach einigen Jahren in die HERMANN REEMTSMA STIFTUNG über, die beide Stiftungszwecke bis heute verfolgt. Beeindruckt von der deutschen Wiedervereinigung war es Hermann-Hinrich Reemtsma seit den 1990er Jahren ein besonderes Anliegen, mit seiner Stiftung Bauwerke in Ostdeutschland zu restaurieren und verlorene Traditionslinien aufzugreifen. Mit der Wiedererrichtung des Pomonatempels von Karl Friedrich Schinkel am Pfingstberg in Potsdam 1992 begann eine Reihe von großen Förderungen für Baudenkmale der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.

Mit der Veräußerung seiner Firmenanteile im Zuge des Verkaufs des Unternehmens Reemtsma an Imperial Tobacco im Jahr 2002 statteten er und seine drei Kinder die HERMANN REEMTSMA STIFTUNG mit erheblichem Vermögen aus, so dass diese zu einer der größten privaten Stiftungen in Hamburg anwuchs und jährlich 4-6 Mio. Euro an gemeinnützige Einrichtungen ausschüttet. Die bauliche Herrichtung der Villa und des Gartens von Max Liebermann am Wannsee in Berlin war ebenso ein Schlüsselprojekt der Stiftung wie die Restaurierung der barocken Stellwagen-Orgel in der Marienkirche in Stralsund. Aus der mehrheitlichen Finanzierung des Aufkaufs von zentralen Werken Philipp Otto Runges für die Hamburger Kunsthalle in den Jahren 2002 und 2008, ging die Philipp Otto Runge Stiftung hervor. Hermann-Hinrich Reemtsma setzte sich genauso vehement für die Etablierung des Dreikönigshospizes in Neubrandenburg wie für die bauliche Erweiterung des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg ein, die zwei Großprojekte seiner Stiftung wurden. Auch die Rettung des Dehmelhauses in Hamburg-Blankenese ab 2013, für die die HERMANNN REEMTSMA STIFTUNG eigens eine Trägerstiftung gründete, war ihm besonders wichtig. Als Sitz für seine Stiftung erwarb er 2000 das klassizistische Landhaus J.H. Baur des dänischen Architekten Christian F. Hansen in Altona, das originalgetreu wiederhergestellt wurde.

Ein Herzensanliegen war ihm die Unterstützung jüdischer Gemeinden in Deutschland. So förderte die Stiftung die wissenschaftliche Erforschung des Jüdischen Friedhofs Altona, die Sanierung der ehemaligen Talmud-Tora-Schule und der Synagoge Hohe Weide in Hamburg sowie weitere Vorhaben etwa in Dresden, Chemnitz, Schwerin und Dessau. Die Erweiterung der Stiftungstätigkeit nach Polen und England seit 2010 geht maßgeblich auf Hermann- Hinrich Reemtsma zurück. Eine erhebliche Förderung des Warburg Institute in London bleibt untrennbar mit seinem Namen verbunden.

Hermann-Hinrich Reemtsma gehörte zu den vier Großspendern für die Elbphilharmonie, die durch ihre frühen Zusagen das für Hamburg zentrale kulturelle Großvorhaben zu Beginn des 21. Jahrhunderts ermöglichten. Das ihm zugedachte Foyer in der Elbphilharmonie benannte er nach Max Brauer, den von ihm verehrten Oberbürgermeister Altonas und Ersten Bürgermeister Hamburgs. Initiativ wurde Hermann-Hinrich Reemtsma bei der Erinnerung an lange vergessene Personen, die ihn beeindruckten. So sorgte er für die Pflege des Grabes des Landwirts und Kunstfreunds Caspar Voght in Hamburg, die Wiederanbringung von Namen der gefallenen Soldaten Friedrichs II. in Rheinsberg und die Errichtung eines Denkmals für den Hitler-Attentäter Georg Elser in Berlin.

1994 verstarb seine Frau Eike, mit der er die Stiftung aufgebaut hatte. 1995 heiratete er Gesa Ullrich, die sich ebenfalls in seine Stiftungen einbrachte. Gesa Reemtsma starb 2012.

Für sein stifterisches Wirken erhielt Hermann-Hinrich Reemtsma viele Auszeichnungen: 2000 die Gustav Schiefler Medaille der Lichtwark-Gesellschaft Hamburg e.V., 2004 die Salomon-Heine-Plakette des Heine-Haus e.V. und 2007 den Karl-Friedrich-Schinkel-Ring des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz. Im gleichen Jahr würdigten ihn die Jüdische Gemeinde in Hamburg und die Stiftung Jüdisches Leben mit der Herbert- Weichmann-Medaille. 2013 wurde er zum Ehrenbürger der Hansestadt Stralsund ernannt. Der Arbeitskreis selbstständiger Kulturinstitute überreichte ihm 2016 die Maecenas-Ehrung.

Mit 75 Jahren übergab Hermann-Hinrich Reemtsma 2010 den Vorsitz seiner Stiftung an seinen Sohn Bernhard. Seine Tochter Henrike und sein Sohn Cornelius sind ebenso im Vorstand der HERMANN REEMTSMA STIFTUNG und den beiden Schwesterstiftungen Ernst Barlach Haus und Hanna Reemtsma Haus tätig. Auch seine landwirtschaftlichen Betriebe sind seit einigen Jahren in den Händen seiner Söhne.

Am 29. September 2020 verstarb Hermann-Hinrich Reemtsma in Hamburg.